- Erwin Peter Kandel
Der Arzt bin ich
von Uli Fricker
Auch der Bundestag kniet sich in die schwierige Materie hinein. Wie so oft will er eine Entwicklung kanalisieren, die bisher als Wildbach dahin schießt: Immer mehr Europäer setzen eine Patientenverfügung auf, die Formulare dafür liegen bei sozialen Einrichtungen aus. Nun sieht sich der Gesetzgeber in der Pflicht. Er will das papierne Chaos lichten und in juristisch sauberes Bettzeug packen.
Muss er das? Die Stimmen mehren sich, die eine erschöpfende Regelung der Patientenverfügung durch das Parlament ablehnen. Dafür gibt es gute Gründe: Wenn das Leben erst einmal in Paragrafen gefasst wird, dann geschieht das oft im Übermaß. Eine Verfügung, die allen Regeln der Kunst entspricht, muss dann notariell beglaubigt sein, was zusätzlich Geld kostet. Und sie wird aufgebläht und mehr Punkte umfassen, um nur alles und jedes zu beschreiben. Zudem wird sie Ärzte und Pfleger an die ganz kurze Leine nehmen. Sie würden zu weißbekittelten Erfüllungsgehilfen eines gut gemeinten, aber nicht immer sinnvollen Verhaltenskatalogs. Was ein Gesunder schriftlich verfügt, wird 20 Jahre später buchstäblich umgesetzt. Das wird seinem Leiden nicht immer gerecht – und es ignoriert den Sachverstand, der sich an Krankenhäusern sammelt. Wer dort nur menschenferne Technikgläubigkeit vermutet, zielt an der Sache vorbei. Und wer den Spitälern eine möglichst hohe Auslastung der Betten mit gedehnten Liegezeiten unterstellt, hält nur einen von vielen Zipfeln fest.
Diese Annahmen sind Ausdruck einer Schieflage. Patientenverfügungen entwickeln sich zum neuen Lieblingsdokument der Deutschen, weil viele dem System nicht mehr trauen. Die Krankenhäuser gelten vielen als seelenlose Silos, die Ärzte als akademische Techniker, die Schwestern als chronisch überlastete Tablettenspender. Dazu kommt die unterschwellige Skepsis gegenüber einer chronisch umstrittenen Gesundheitspolitik. Sie ist kaum geeignet, das Vertrauen in den medizinischen Betrieb zu stärken. Viele Deutsche glauben ernsthaft, sie seien schlecht behandelt.
In dieser Lage scheint die Patientenverfügung als Lichtblick auf. Hier wird Selbständigkeit zum Dokument. Der Betroffene legt selbst fest, zu welchem Zeitpunkt er eine Behandlung abgebrochen haben will und welche Eingriffe er ablehnt. Wer dieses Papier ausfüllt, rückt gewissermaßen zum Chefarzt in eigener Sache auf, der sich von fremden Mächten nicht mehr dreinreden lässt.
Die Autonomie des Patienten ist das eine. Es ist ein noch junger Begriff, da jahrhundertelang der Hausarzt als höchste Autorität galt, dessen Wort mehr zählte als undeutliches Stammeln vom Krankenlager. Mit dem Verfall ärztlicher Autorität und der Neigung, notfalls zu prozessieren wegen echter oder vermeintlicher Kunstfehler, wurde der Patient aufgewertet. Er will auch im Krankenhemd ein Bürger bleiben. Also schreibt er sein Lebenstestament, wie es in Dänemark heißt.
Patientenverfügungen sind grundsätzlich in Ordnung. Dass ein Mensch bis zum Lebensende das Heft in der Hand halten will, ist verständlich. Und dass er Fachleuten schwere Entscheidungen abnimmt, ist anständig. Nur sollte es vertrauensvoll geschehen, nicht in einer offenen Kampfsituation. Im Zweifel weiß der Intensivpfleger eben besser Bescheid als ein Patient, der über seine Symptome schon “viele Bücher” gelesen hat.
Auf diesem sensiblen Feld soll sich der Gesetzgeber zurückhalten. Ein weit gesteckter Rahmen genügt für die Patientenverfügung vollauf. Alles andere können Kranke und Krankenhäuser direkt regeln, ohne staatliche Intervention, die frische Akten produziert und neuen Überdruss gleich mit. Man sollte den Betroffenen die Kraft zum humanen Ausgleich zutrauen – und nicht aus den letzten Tagen einen Verwaltungsakt machen.